Zur Frage, wann Transportgut als abgeliefert gilt

OLG Düsseldorf, Urteil vom 23.02.2011 – I-18 U 65/10, 18 U 65/10

Sofern nichts Abweichendes vereinbart ist, ist es für eine vertragsgemäße Ablieferung grundsätzlich erforderlich, dass der Frachtführer den Gewahrsam über das beförderte Gut aufgibt und er den Empfänger mit dessen Willen und Einverständnis in die Lage versetzt, die tatsächliche Sachherrschaft über das Gut auszuüben. Demnach ist allein mit der Ankunft des Frachtstücks am Bestimmungsort und dem Abladen am Bestimmungsort noch keine Ablieferung verbunden. Vielmehr erfordert die Ablieferung grundsätzlich auch, dass am Ablieferungsort eine empfangsberechtigte Person des Empfängers zugegen ist, die bereit und in der Lage ist, die Sachherrschaft über das Frachtgut zu übernehmen .(Rn.12)

Das Unterlassen von Schnittstellenkontrollen ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Senats leichtfertig, weil hierdurch sowohl ein Diebstahl der Warensendung begünstigt wird (Rn. 16).

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 2. März 2010 verkündete Urteil der 6. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf (36 O 2/08) wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der durch die Nebenintervention veranlassten Kosten trägt die Beklagte.

Die durch die Nebenintervention im Berufungsrechtszug veranlassten Kosten tragen die Nebenintervenienten selbst.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe
1

Die Berufung der Beklagten ist zulässig.
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Die Streithelfer der Beklagten haben innerhalb der Berufungsfrist gegen das landgerichtliche Urteil Berufung eingelegt, ihre Berufung dann jedoch nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist begründet.
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Jedoch genügt der Schriftsatz der Beklagten vom 17. Mai 2010 in jeder Hinsicht den Anforderungen an eine Berufungsbegründung, so dass die Berufung auch fristgemäß begründet worden ist. Bedenken könnten insoweit nur daraus hergeleitet werden, dass die Beklagte bis zu diesem Zeitpunkt ausgeführt hatte, die Berufung ihrer Streithelfer nur unterstützen zu wollen, sie mithin nicht ausdrücklich erklärt hatte, die Berufung auch selbst durchführen zu wollen. Indes ist diese Erklärung gleichwohl dahin auszulegen, dass die Beklagte auch selbst das Berufungsverfahren durchführen wollte. Da es nicht möglich ist, dass die Beklagte und ihre Streithelfer in der Berufungsinstanz die Rollen tauschen, die Beklagte mithin nicht als Streithelferin ihrer Streithelfer auftreten konnte, muss die Erklärung der Beklagten, die Berufung selbst unterstützen zu wollen, dahin ausgelegt werden, dass auch sie selbst das Berufungsverfahren aktiv betreiben will.
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In der Sache bleibt die Berufung jedoch erfolglos, denn auch nach dem Ergebnis der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme ist weiterhin davon auszugehen, dass die hier in Rede stehenden zwei mit Tonerkartuschen beladenen Paletten auf dem Transport verloren gegangen sind. Im Einzelnen ist hierzu folgendes auszuführen:

I.
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Im vorliegenden Fall wäre zwar von einer ordnungsgemäßen Ablieferung der Warensendung auszugehen, wenn feststünde, dass es eine Absprache zwischen den Zeugen H. und M. dahin gab, dass die Ablieferung in der Weise erfolgen kann, dass der Zeuge H. die Warensendung ins Lager stellt und den Zeugen M. von der Anlieferung telefonisch informiert. Denn diese Absprache dürfte – jedenfalls aus der insoweit maßgeblichen Sicht des Zeugen H. – noch innerhalb der Vollmachten liegen, die dem Zeugen M. als “Lagerleiter” der Firma R. im Außenverhältnis eingeräumt wurden.
6

Die vom Senat zu dieser Frage durchgeführte Beweisaufnahme hat indes nicht ergeben, dass die Zeugen diese Absprache tatsächlich getroffen hatten. Dies geht im Ergebnis zu Lasten der Beklagten, da sie im Streitfall darlegungs- und beweispflichtig für die von ihr behauptete Ablieferung ist.
7

Zwar hat der Zeuge H. diese Absprache bestätigt. Gleichwohl ist der Senat hiervon nicht gemäß § 286 ZPO überzeugt, weil erhebliche Zweifel verbleiben, ob die Bekundung des Zeugen H. in der Sache zutreffend ist. Diese Zweifel gründen maßgeblich darin, dass der Zeuge M. eine dahingehende Absprache in Abrede gestellt hat, so dass die Zeugen zu dem zentralen Beweisthema einander widersprechende Angaben gemacht haben, ohne dass der Senat sicher zu beurteilen vermag, welche Schilderung zutreffend ist. Es steht lediglich fest, dass der Zeuge H. bei etlichen von Warenlieferungen tatsächlich die jeweilige Warensendung vor der Tür des Lagers abgestellt hat und weggefahren ist, bevor der Zeuge M. am Lager eingetroffen war, um die Warensendung entgegen zu nehmen. Ob der Zeuge H. diese tatsächlich vom ihm geübte Ablieferungspraxis indes im Einverständnis des Zeugen M. praktiziert hat oder ob der Zeuge ohne Zustimmung und Billigung des Zeugen M. die Warensendung einfach im Lager abgestellt hat, wenn der Zeuge M. zum Zeitpunkt der Anlieferung noch nicht im Lager eingetroffen war, vermag der Senat nicht zu beurteilen. Die praktizierte Ablieferung lag vornehmlich im Interesse des Zeugen H., der auf seiner Zustelltour bestrebt sein musste, nach Möglichkeit nicht bis zu 30 Minuten auf den Zeugen M. warten zu müssen. Ob er die Lösung seines Zeitproblems im Einvernehmen mit dem Zeugen M. gefunden hat oder ob er sein Interesse an einer schnellen Abwicklung durchgesetzt hat, indem er den Zeugen M. einfach vor vollendete Tatsachen gestellt hat, ist offen geblieben.
8

Aus dem Vorstehenden folgt des Weiteren, dass die Beweisaufnahme auch keinen Anhalt ergeben hat, der es rechtfertigen könnte, anzunehmen, dass es zu einer konkludenten, stillschweigenden Absprache über die vom Zeugen H. praktizierte Ablieferungsmodalität gekommen ist. Weil – wie dargelegt – nicht auszuschließen ist, dass der Zeuge H. eigenmächtig dazu übergegangen ist, die Ablieferung wie tatsächlich geschehen auszugestalten, könnte allenfalls in dem Umstand, dass der Zeuge M. dieser Ablieferungspraxis nicht ausdrücklich widersprochen hat, ein konkludent erklärtes Einverständnis liegen. Der Zeuge H. durfte jedoch die bloße widerspruchslose Hinnahme der praktizierten Ablieferung nicht gemäß §§ 133, 157 BGB dahin verstehen, dass der Zeuge M. diese Ablieferungspraxis nicht nur hinnimmt, sondern auch billigt. Denn angesichts der weitreichenden Rechtsfolgen, die mit einer solchen Billigung verbunden sind – Übergang des Verlustrisikos auf die Empfängerin, bevor sie die Warensendung tatsächlich in Besitz genommen hat und Verzicht auf die Kontrolle, ob die Warensendung tatsächlich am Ablieferungsort angekommen ist – durfte der Zeuge H. aus dem bloßen Schweigen des Zeugen M. gerade nicht auf dessen Einverständnis schließen.

II.
9

Soweit die Klägerin bereits erstinstanzlich eine ordnungsgemäße Ablieferung der Warensendung aus der vom Zeugen H. quittierten Rollkarte vom 22. November 2006 abgeleitet hat, weil der Zeuge M. den Zeugen H. angeblich bevollmächtigt habe, für ihn den Empfang zu quittieren, ist dies bereits im Ansatz verfehlt. Denn selbst wenn der Zeuge M. dies getan hätte, hätte er hierdurch jedenfalls – für den Zeugen H. ohne weiteres erkennbar – gegen seine Pflichten aus seinem Arbeitsvertrag verstoßen. Mithin war auch aus Sicht des Zeugen H. klar, dass M. keine Vollmacht hatte, ihn, den Zeugen H., zur Abzeichnung der Rollkarten zu bevollmächtigen, so dass er wusste oder hätte wissen müssen, dass diese vom Zeugen M. erteilte Vollmacht – so sie denn erteilt worden ist – jedenfalls nicht rechtswirksam sein kann.
10

Lediglich ergänzend ist in diesem Zusammenhang anzuführen, dass der Senat aber auch in Übereinstimmung mit dem Landgericht der Auffassung ist, dass bereits nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme die von der Beklagten behauptete Bevollmächtigung des Zeugen H. nicht bewiesen ist.

III.
11

Im Ausgangspunkt zutreffend führt die Beklagte im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 4. Februar 2011 aus, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme viel dafür spricht, dass die beiden Paletten auch dann vor der Tür des Lagers abgestellt worden wären und dort auch noch geraume Zeit verblieben wären, wenn der Zeuge H. am 22. November 2006 auf den Zeugen M. gewartet hätte. Unzutreffend ist allerdings die rechtliche Schlussfolgerung, dass deswegen schon mit dem Abstellen vor der Tür eine Ablieferung erfolgt ist.
12

Sofern nichts Abweichendes vereinbart ist, ist es für eine vertragsgemäße Ablieferung grundsätzlich erforderlich, dass der Frachtführer den Gewahrsam über das beförderte Gut aufgibt und er den Empfänger mit dessen Willen und Einverständnis in die Lage versetzt, die tatsächliche Sachherrschaft über das Gut auszuüben. Demnach ist allein mit der Ankunft des Frachtstücks am Bestimmungsort und dem Abladen am Bestimmungsort noch keine Ablieferung verbunden. Vielmehr erfordert die Ablieferung grundsätzlich auch, dass am Ablieferungsort eine empfangsberechtigte Person des Empfängers zugegen ist, die bereit und in der Lage ist, die Sachherrschaft über das Frachtgut zu übernehmen (st. Rspr. des BGH, vgl. zuletzt TranspR 2009, 410). Diese Voraussetzung war jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, als der Zeuge H. am 22. November 2006 die Paletten vor die Tür des Lagers gestellt und den Ablieferungsort sodann verlassen hat, nicht gegeben, weil der Zeuge M. bis dahin noch nicht am Lager eingetroffen war, um die Paletten entgegen zu nehmen.
13

Es steht auch nicht fest, dass im weiteren Verlauf des 22. November 2006 noch ein Mitarbeiter der Empfängerin die beiden Paletten tatsächlich in Besitz genommen hat.

IV.
14

Mangels eines geführten Ablieferungsnachweises ist somit davon auszugehen, dass die beiden Paletten während des Transports in Verlust geraten sind. Hieran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass wegen der fehlenden Eingangskontrollen im Lager der Empfängerin nicht mehr feststellbar ist, ob die Empfängerin die Warensendung nicht doch noch im Verlauf des 22. November 2006 in Besitz genommen hat. Da die Beklagte die erfolgte Ablieferung beweisen muss, müsste vielmehr feststehen, dass die Empfängerin die Paletten tatsächlich in Besitz genommen hat.

V.
15

Schließlich ist das Landgericht auch zu Recht davon ausgegangen, dass die Beklagte den hier in Rede stehenden Warenverlust leichtfertig verursacht hat, so dass sie gemäß §§ 425, 435 HGB vollen Schadensersatz leisten muss, ohne sich auf Haftungsbeschränkungen berufen zu können.
16

Der Zeuge H., für dessen Fehlverhalten die Beklagte nach § 428 HGB einstehen muss, hat sich über die Anweisung seines Arbeitgebers, der Streithelferin zu 1, hinweg gesetzt, sich die Ablieferung auf der Rollkarte quittieren zu lassen. Hierdurch hat er eine Schnittstellenkontrolle bei der Ablieferung vereitelt. Das Unterlassen von Schnittstellenkontrollen ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Senats leichtfertig, weil hierdurch sowohl ein Diebstahl der Warensendung – nicht nur durch den Zeugen H., sondern auch durch Lagerarbeiter der Firma A. als auch durch sonstige Dritte, die sich auf dem Werksgelände aufhalten und die praktizierte Ablieferung beobachtet haben – begünstigt worden ist. Mithin hat sich im vorliegenden Fall genau das Risiko verwirklicht, das durch die Schnittstellenkontrolle hätte verhindert werden sollen.

VI.
17

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 101, 708 Nr. 10, 711 und 713 ZPO.
18

Ein Anlass, zugunsten der Klägerin die Revision zuzulassen, besteht nicht, § 543 Abs. 2 ZPO.
19

Streitwert des Berufungsverfahrens: 13.522,77 €

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